Liebe Kinder, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
wir sagen Euch ein herzliches Hallo auf dieser Seite. Wir möchten euch an dieser Stelle Gelegenheit geben, Euch mit Inhalten aus dem Konfirmandenunterricht, den Jahreskreis betreffend beschäftigen zu können. Informationen aus Groß Glienicke und zu Eurer Kirche ergänzen diese Seite. Ihr vermisst etwas? Ihr möchtet selbst etwas veröffentlichen, was mit Eurer Konfirmandenzeit, mit Eurer Kirche oder mit Groß Glienicke zu tun hat? Nur zu! Wir hoffen, Ihr habt Spaß dabei, diese Seite für Euch zu entdecken!
Die Konfirmandenzeit – kurz Konfi-Zeit – ist mehr als nur Vorbereitung auf die Konfirmation. Es ist eine Reise des Glaubens, auf der du entdecken kannst, was christlicher Glaube mit dir, deinem Leben und deiner Welt zu tun hat. Du bist nicht allein unterwegs: Mit anderen Jugendlichen, deiner Kirchengemeinde und deinen Teamer:innen gehst du Stück für Stück weiter hinein ins Abenteuer Glauben.
Die Konfi-Zeit gibt dir Raum, um...
Fragen zu stellen, die dich wirklich bewegen
Antworten zu suchen, die du nicht einfach googeln kannst
Glauben kennenzulernen, der etwas mit deinem Alltag zu tun hat
Kirche zu erleben, wie du sie vielleicht noch nie gesehen hast
und: Spaß zu haben, Gemeinschaft zu leben, Neues zu probieren.
Jesus selbst hat einmal gesagt:
„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“
(Matthäus 18,2-3)
Das zeigt uns: Jesus traut euch Jugendlichen Großes zu – er nimmt euch ernst. Und er sendet alle, die glauben, los in die Welt:
„Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker... und siehe, ich bin bei euch alle Tage.“
(Matthäus 28,18-20)
Mit deiner Konfirmation sagst du:
„Ja, ich will zu Gott gehören. Ich will Teil dieser Kirche sein.“
Du bekommst den Segen Gottes zugesprochen – ganz persönlich. Und du wirst Teil der Gemeinde als mündiger Christ oder mündige Christin: Du darfst nun Patin oder Pate werden, das Kirchenwahlrecht nutzen und bist eingeladen, aktiv mitzugestalten.
Deine Fragen. Dein Glaube. Deine Konfi-Zeit.
Wir freuen uns auf dich! 🌟
In der Konfi-Zeit geht’s nicht nur um spannende Gespräche, coole Aktionen und neue Leute – du lernst auch richtig viel über deinen Glauben. Und manche Dinge, die du lernst, wirst du vielleicht dein Leben lang nicht vergessen – weil sie dir Kraft geben, wenn du sie brauchst.
Einige zentrale Texte aus der Bibel und der christlichen Tradition sind „Merkwürdig“ – im wahrsten Sinne: es ist gut, sie sich zu merken.
Sie helfen dir, den Glauben zu verstehen und Worte zu finden – fürs Gebet, fürs Leben, für deinen eigenen Weg mit Gott.
Du lernst zum Beispie etwas über:
Der Taufauftrag aus Matthäus 28,18–20
Starke Worte über Gottes Liebe aus Jesaja 43 und Jesaja 54
Markus 10,14b: „Lasst die Kinder zu mir kommen“
Was ist die Taufe? – Erklärung nach Johannes Brenz
Die Einsetzungsworte Jesu
Psalm 34,9 – „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist“
Offenbarung 3,20 – Jesus vor der Tür
Was ist das Abendmahl? – Erklärung nach Johannes Brenz
Das apostolische Glaubensbekenntnis
Bibelverse zu jedem Artikel, z. B. Johannes 3,16
Erklärungen von Martin Luther aus dem Kleinen Katechismus
Das Vaterunser
Psalm 23 – „Der Herr ist mein Hirte“
Psalm 91,1-2 – Zuflucht bei Gott
Was ist Gebet? – Aus dem Konfi-Buch von 1908
Die Zehn Gebote
Das Doppelgebot der Liebe (Mt 22,37–39)
Psalm 119,105 – Gottes Wort als Licht
Micha 6,8 – Was Gott von uns will
Erklärungen zu den Geboten von Martin Luther
💡 Und dazu kommen noch Lieder, die dir im Herzen bleiben – aus der Kirche, aus Taizé, aus moderner Musik.
Wir haben dafür eine Kernliederliste mit den wichtigsten Liedern für deine Konfi-Zeit.
Mach dich auf – mit Kopf, Herz und Hand.
Was du hier lernst, ist nicht nur „für die Schule“, sondern fürs Leben.
Und: Du bist nicht allein. Wir begleiten dich!
Eine Taizé-Andacht ist eine besondere Form des Gottesdienstes – ruhig, meditativ und voll schöner Musik. Sie kommt aus dem kleinen Ort Taizé in Frankreich. Dort lebt seit 1949 eine Gemeinschaft von Brüdern verschiedener christlicher Konfessionen, die sich für Frieden, Versöhnung und ein einfaches Leben im Glauben einsetzen. Ihr Motto: „Gott ist nur Liebe.“
🕯️ Stille: Es gibt längere Phasen der Stille. Das hilft dir, zur Ruhe zu kommen und einfach mal in dich hineinzuhören – ganz ohne Stress.
🎶 Gesänge aus Taizé: Kurze, einfache Lieder, oft in verschiedenen Sprachen, die mehrmals wiederholt werden. Dadurch kann man sie leicht mitsingen – selbst wenn man zum ersten Mal dabei ist. Die Musik wirkt beruhigend und verbindend.
🔥 Kerzenlicht & einfache Symbole: Die Andachten finden oft bei gedimmtem Licht oder sogar ganz im Kerzenschein statt. Das schafft eine besondere, friedliche Atmosphäre.
📖 Bibeltexte & Gebete: Es werden kleine Bibeltexte gelesen, dazu gibt es kurze Gebete, manchmal auch Bitten oder Fürbitten.
Die Gemeinschaft wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Frère Roger Schutz, einem Schweizer, gegründet.
Er wollte einen Ort schaffen, an dem Menschen aus ganz Europa – besonders junge Leute – gemeinsam glauben, beten und leben können, trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft oder Konfession.
Heute reisen jedes Jahr Tausende von Jugendlichen aus der ganzen Welt nach Taizé – um Glauben zu erleben, Gemeinschaft zu spüren und neue Hoffnung zu finden.
Taizé-Andachten gibt es nicht nur in Frankreich. Auch in vielen Gemeinden in Deutschland – und so auch bei uns in der Dorfkirche – finden regelmäßig solche Andachten statt. Sie sind eine tolle Möglichkeit, den Glauben ganz anders zu erleben: leise, persönlich, tief.
Liebe Konfirmanden und Kinder,
ihr seid in der Dorfkirche Groß Glienicke herzlich zum Abendmahl eingeladen, wenn ihr getauft seid. Um zu verstehen, warum das so ist, wollen wir uns das Bild eines Baumes anschauen, das uns hilft, die Bedeutung des Abendmahls zu erkennen.
Der Baum und seine Wurzeln
Stellt euch vor, der Baum hat tiefe Wurzeln, die ihm Halt und Nahrung geben. So wie der Baum ohne Wurzeln nicht wachsen und gedeihen könnte, so liegt auch die Wurzel des Abendmahls in einer sehr alten Geschichte. Ursprünglich findet sich die Bedeutung des Abendmahls im Passahmahl, das die Israeliten feierten, um sich an ihren Auszug aus Ägypten zu erinnern – an die Befreiung von der Sklaverei. Diese Geschichte war für sie sehr wichtig, weil sie ihre Identität und ihren Glauben prägte.
Der Stamm des Baumes
Der Stamm eines Baumes ist das, was ihn trägt und fest stehen lässt. So ist es auch beim Abendmahl. Das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern hat das Passahmahl verändert und ihm eine tiefere Bedeutung gegeben. Es ist nicht mehr nur ein Fest der Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten, sondern es wird zu einem Symbol für die Gemeinschaft unter den Menschen und die Vergebung der Sünden. Jesus lädt uns ein, mit ihm und miteinander in Gemeinschaft zu sein und uns gegenseitig zu vergeben.
Die Krone, Blätter und Früchte des Baumes
Die Krone und die Früchte des Baumes zeigen, wie der Baum aussieht und was er hervorbringt. So zeigt sich auch beim Abendmahl, was uns das Sakrament gibt. Beim Abendmahl sehen, hören und schmecken wir die Gaben Gottes: Brot und Wein, die uns an Jesu Körper und Blut erinnern. Es geht um Erinnerung, Gemeinschaft, Vergebung, Freude und die Hoffnung auf das Reich Gottes. Diese Gaben sind für uns alle da – sie werden geteilt, und sie stärken uns in unserem Glauben und miteinander.
Was bedeutet das für uns?
Das Abendmahl ist nicht nur ein historisches Ritual, sondern es hat für uns heute eine große Bedeutung. Es ist ein Moment, in dem wir zusammenkommen, uns gegenseitig unterstützen, uns an Gottes Liebe erinnern und gestärkt in unseren Alltag gehen können. Als getaufte Kinder seid auch ihr Teil dieser Gemeinschaft, und deshalb seid ihr zum Abendmahl eingeladen. Es ist ein „Lebensmittel“, das uns nicht nur körperlich stärkt, sondern auch geistlich.
Ziele für uns alle
Durch dieses Bild des Baumes können wir die Wurzeln, den Stamm und die Früchte des Abendmahls entdecken. Wir können über seine Bedeutung nachdenken, ins Gespräch kommen und erfahren, wie es unser Leben heute prägt. Außerdem ist das Abendmahl ein Moment der Gemeinschaft, des Zusammenseins, des Singens und des Spiels. Es ist ein Moment, der uns zeigt, dass wir nicht allein sind, sondern als Christen gemeinsam unterwegs sind.
Deshalb: Kommt zum Abendmahl, lasst uns zusammen feiern, miteinander singen, beten und vor allem teilen. Ihr seid willkommen!
Gottes Segen für euch!
Eine Brücke zwischen Mittelalter und Gegenwart – mit Kinderaugen betrachtet
Mitten in der Coronazeit 2022 entwickelte der Schüler Luis Venus ein ganz besonderes Freies Projekt: Unter dem Titel „Eine Kirche: Brücke zwischen Mittelalter und Gegenwart?“ erforschte er die Kirche seines Heimatortes Groß Glienicke – ein mittelalterliches Bauwerk mit jahrhundertealter Geschichte. Unterstützt wurde er dabei von seiner Mentorin, Dr. Olivia Zorn, stellvertretende Direktorin des Ägyptischen Museums Berlin.
Luis, der damals gerade am Konfirmandenunterricht teilnahm, vereinte persönliche Eindrücke, architektonisches Interesse und intensive Recherche zu einem vielschichtigen Projekt. Zwischen familiärem Spannungsfeld – ein wissenschaftlich denkender Vater, eine kulturbegeisterte Mutter – und eigener Neugier fragte er sich:
Kann ein uraltes Kirchengebäude heute noch Bedeutung für junge Menschen haben?
Die Antwort suchte er nicht nur in Büchern, sondern vor allem im Raum selbst. Die Kirche wurde sein Forschungsfeld: Er untersuchte die sogenannten Prinzipalstücke – Altar, Kanzel, Taufe –, fragte nach der Funktion von Epitaphen, der Rolle der Patronatsloge oder den Gründen für die Schieflage der Orgelempore. Auch ungewöhnliche Details weckten seine Neugier: hebräische Zeichen an der Stuckdecke, der Name von Ribbeck auf einem Deckenbalken oder die Legende von der Gruft unter dem Altarraum.
Seine Methode: Interviews mit Expert:innen, akribische Dokumentation und vor allem ein eigener Blick auf das historische Gebäude als „sprechenden Raum“.
Ein Höhepunkt seines Projekts war die intensive Auseinandersetzung mit den Schachbrettsteinen, den rätselhaften Bauzeichen im Mauerwerk. Vor der Kirche – mit seinem fertigen Buch in der Hand – ließ sich Luis schließlich fotografieren: Ein junger Forscher vor „seiner“ Kirche, dem ältesten Gebäude Potsdams, mit einer ganz eigenen Geschichte und einer persönlichen Antwort auf die große Frage:
Ja – eine Kirche kann eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart sein.
Von Luis Venus
Sie waren von 1991 – 2019 Gemeindekirchenrat in der Gemeinde Groß Glienicke. Dort haben Sie sich vor allem für unsere über 750 Jahre alte Dorfkirche eingesetzt. Können Sie mir etwas zum Förderverein erzählen, der 2003 gegründet wurde?
Wir mussten den Förderverein gründen, weil unsere Kirchengemeinde über keine größeren finanziellen Mittel verfügte. Wir wussten, wir müssen unsere uralte Kirche –wir sind das älteste Gebäude der Landeshauptstadt – in den ursprünglichen Zustand zurück versetzen.
Ursprugszustand ist der, als Hans George III Ribbeck 1703 verstarb innen wie außen in jenen Zustand zu versetzen. Das war unser Ziel, gemeinsam mit dem Denkmalschutz, dem Landes- und dem Stadtdenkmalschutz. Wir mussten immer Geld dafür haben. Darum gründeten wir den Förderverein, weil die Kirchengemeinde selber den sogenannten Eigenmittelanteil, den man brauchte, wenn man Unterstützung vom Staat oder von der Kirche wollte, vorhalten musste. Man musste immer 10% der Bruttosumme des jeweiligen Vorhabens haben. Die Gemeinde hatte es nicht. So haben wir Mittel als Förderverein akquiriert.
Ich erinnere mich heute noch an den Gründungstag. Es war ein fürchterlich heißer schwüler Sommertag. Das Pfarrhaus war noch in der Bergstraße. Pfarrer war Dr. Bernhardt Schmidt. Ein fürchterlicher Sturm kam auf. Ich hatte nun gehofft, es kommt gar keiner zur Gründung des Fördervereins der Dorfkirche. Aber siehe da; der Gemeinderaum war brechend voll.
Die Mitglieder des gegründeten Fördervereins mussten entscheiden; wer macht den Vorsitz. Auf einmal verlangte Pfarrer Schmidt, dass ich den Vorsitz übernehme. Ich war sehr erschrocken, denn ich ging ja noch arbeiten. Ich hatte eigentlich gar keine Zeit für solche Geschichten. Aber ich habe dann verstanden, wir müssen die Kirche herrichten. So haben wir den Vorstand gewählt und auch den Vorsitz. Der bin ich nun heute noch mit über 80 Jahren.
Aber ich suche jetzt einen Nachfolger. Vielleicht mache ich es noch für zwei Jahre, dann aber nicht mehr.
Wir haben einen sehr hohen mehrstelligen Betrag in der ganzen Zeit eingesetzt für Gebäudesanierung und Kunstwerkrestaurierung. Wir schließen demnächst die Gebäudesanierung und die Kunstwerkrestaurierung ab. Dann folgt die Mauerrestaurierung, die statische Restaurierung der Feierhalle. Dann haben wir eine solide Friedhofsbasis, aber nur noch eine kleine Gemeinde.
Von Luis Venus
Was haben Sie gedacht und empfunden, als das Schachbrett entdeckt wurde?
Das war eine putzige Geschichte. Wir mussten im Jahre 1982 mit Auflage des Konsistoriums und des Denkmalschutzes der Stadt Potsdam (in der DDR gab es natürlich auch einen Denkmalschutz) die Kirche verputzen lassen, weil die Kirche aufgrund ihres Alters und der Kriegseinwirkungen viele Schadstellen hatte, auch in der Fassade. Sie wurde notdürftig repariert, aber es war ja immer Kirchenbetrieb (Gottesdienst).
Als wir begannen mit der Wende die Restaurierungen vorzubereiten, mussten wir auch immer den Stadtkonservator Kalesse hinzuziehen, der zuständig war für den Denkmalschutz in der Stadt Potsdam. Erst als wir nach Potsdam eingemeindet wurden, war er hier zuständig.
Wir waren in der Kirche, hatten eine Besprechung und gehen raus. Dann dreht sich Herr Kalesse um und schaut ganz fasziniert auf die Stelle, wo heute der Schachbrettstein sichtbar ist. Wir fragten: „Was ist los, Herrn Kalesse?“, während er schon rief: „Holen Sie sofort einen Maurer!“ Und dann „Picken Sie hier sofort mal vorsichtig frei!“ Siehe da, es kamen die ersten Zeichen dieses Schachbrettsteins zum Vorschein. Wir waren alle völlig verdattert. Dazu muss ich sagen, es wird immer behauptet, dass die Kirche erst 1982 überhaupt verputzt wurde. Nein! Die war schon über mehr als 100 Jahre verputzt. Ich bin mein Leben lang in dieser Kirche, aber ich habe hier nie zuvor einen Schachbrettstein gesehen. Aber Herr Kalesse war so ein Fuchs. Er hat nur Andeutungen von Endpunkten eines Schachbrettsteins, zwei bis drei Feldern gesehen. Er hat immer danach gesucht, weil er die Geschichte von Schachbrettsteinen kannte. Es war wirklich eine Sensation!
Es gibt zu diesen Schachbrettsteinen irre Deutungen, meist heidnische. Zum Beispiel sagt eine Legende, der liebe Gott habe mit dem Teufel Schach gespielt und natürlich gewonnen. Meine Deutung ist die des corporate identity. Bauleute, die in der Lage waren, aus Natursteinen solche Bauwerke zu errichten, wollten hinterlassen, dass sie das sie das; zu Ehren Gottes konnten. Der Hintergrund des Schachbrettsteines ist; der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Mit diesem Bibelspruch ist Jesus Christus gemeint, der der Eckstein unserer Kirche ist. Aber sie wollten als Bauleute auch ein Zeichen hinterlassen.
Du weißt, dass wir drei davon haben?
Die nach ihrem Aussehen benannten Schachbrettsteine findet man ausschließlich an Granitquaderkirchen des 12. und 13. Jahrhunderts. Selten sind sie farblich so markant wie bei uns an der Groß Glienicker Dorfkirche. Meist sind sie unscheinbarer und in ihrer Färbung den anderen Steinen ähnlich. Sie sind während der Bauzeit der Kirchen entstanden und nicht im Nachhinein dort eingefügt worden. Das Schachbrettmuster wurde anfangs mit Hammer und Meißel in die Oberfläche des Steins geschlagen, später sollen chemische Stoffe verwendet worden sein, die die Oberflächen verfärbten.
Häufig befinden sich Schachbrettsteine an der Hauptfassade, der man sich dem Gotteshaus nähert. Dort wurden sie häufig an Gebäudeecken eingesetzt. Weil diese besonderen Steine jedoch nur einzeln, selten im Paar auftreten, geht man davon aus, dass diese keine Schmuckelemente, sondern eher symbolischen Charakters sind. So sollen die sorgsam bearbeiteten Steine z.B. auf kirchliche Bauhütten und deren adligen und kirchlichen Herrschaften (Askanier bzw. Zisterzienser) hinweisen und somit der Wiedererkennung der Bauhütten selbst dienen.
Weil Schach zur damaligen Zeit das Spiel der Adligen und Geistlichen war, sehen viele das Schachbrettmuster als verbindendes Element zwischen den beiden einzigen zur Bildung Zugang habenden Gesellschaftsgruppen.
Es könnte aber auch als Bezug auf den die Kirche umgebenden Friedhof annehmen und damit die Gleichheit aller Menschen vor dem Tode symbolisiert.
Kirchen mit Schachbrettsteinen stammen aus der Zeit der Christianisierung im 13. Jahrhundert in dem Gebiet im jetzigen Deutschland und Polen, in dem damals die Pommern unter Einfluss der Dänen nach Süden vordrangen und die bisherigen religiösen Heiligtümer der hier ansässigen Slawen ersetzten. Die christlichen steinernen Kirchen wurden dabei als neuer religiöser Mittelpunkt erstmalig direkt im Mittelpunkt des Ortes errichtet. In dieser Zeit änderte sich auch der bisherige Totenkult grundlegend. Die Toten wurden nun erstmalig in Gräbern auf dem mit einer Mauer umgebenden Kirch- bzw. Friedhof direkt neben der Kirche bestattet und nicht mehr nach ihrer Verbrennung in Urnen außerhalb der Ortschaften an heiligen Stellen vergraben.
Von Luis Venus
Seit 2003, nachdem Groß Glienicke nach Potsdam eingemeindet worden war, hat die Betreuung aller Maßnahmen durch die Untere Denkmalschutzbehörde der Landeshauptstadt eingesetzt. Die umfangreichen Restaurierungsarbeiten sind erfolgreich abgeschlossen worden. Was hätten Sie lieber? Die Patronatsloge auf dem Boden? Oder lieber so, wie sie einmal gewesen ist, über der Linie zur Kanzel?
Ich bin ein Fan von Otto Wollanck, später von Wollanck. Die Patronatsloge, die Hans George III von Ribbeck einbauen ließ in diese Kirche, ist dort jetzt die Orgelempore. Dann hat der erste nichtadlige Rittergutsbesitzer Berger um1850 das Rittergut erworben und hat die Patronatsloge frei gegeben für eine Orgelerweiterung. Er hat Teile der Patronatsloge verwendet.
Er hat einen Zugang hinter dem Altar in die Ostwand brechen lassen. Das ist ein Frevel. Das nehme ich ihm heute noch übel. Er ist dann über eine Treppe am Epitaph der Gräfin von Lattorf hochgegangen und hat dann oben gegenüber der Kanzel gesessen; sogar etwas höher als die Kanzel. Böse Zungen behaupten, er wollte schauen, ob der Pfarrer womöglich abliest. Heute lesen die Pfarrer auch und kein Mensch ärgert sich darüber. Damals war das nicht zulässig.
Otto Wollanck, später von Wollanck hat 1890 das Rittergut erworben. Da war die Patronatsloge noch die, wie sie oben ist. Er hat dann aber gesagt: „Nein, ich bin nicht adlig, wie meine Gemeinde und möchte mit meiner Gemeinde auf einer Ebene sitzen und hat die Patronatsloge herunter geholt. Zu Otto Wollanck hier im Ort ist noch zu sagen: Er hatte von so genannten „Möchtegern-Historikern“ keinen guten Ruf. Der Adel hatte aber auch während der ganzen 40 Jahre der DDR keinen guten Ruf. Aber er hatte in diesem Ort zu seiner Zeit einen sehr guten Ruf.
Als er das Rittergut 1890 erwarb, hat er die Gutarbeitersiedlung verbessert. Er hat einen Kindergarten für Gutsarbeiterkinder erschaffen. Er hat eine Schnitterkaserne modernisiert. Damals brauchte man schon polnische Hilfsarbeiter, um die Ernte einzubringen. Diese Gutarbeiter durften sowohl das zentrale Backhaus der Gutsarbeitersiedlung nutzen als auch das zentrale Waschhaus. Auch die Wohnungen für die Gutsarbeiter und der Gutshandwerker wurden modernisiert. Alle Gutsarbeiter und Handwerker, die seinem Führungsstil gemäß eine ordentliche Arbeit geleistet haben, hatten eine Wohnung in der Gutsarbeitersiedlung, bestehend aus einem Flur, einem Wohnraum, einem Schlafalkoven für die Eltern, einer Wohnküche und einer Kammer für die Kinder.
In der Küche gab es einen Extrazugangsraum zu einem Keller. Zu jeder dieser Gutarbeiterwohnungen gehörte ausgangs der Küche ein kleiner Hof. Auf diesem Hof gab es - massiv gebaut – eine Außentoilette. Dazu gab es ein kleines Steingebäude mit einem kleinen Stall und einem kleinen Schuppen. Die Gutarbeiter hatten zur Unterstützung ihres Lebens einige Kleintiere halten können und bekamen jährlich ein Deputat mit dem sie diese Kleintiere ernähren konnten.
Weil er dieses Gut rationalisiert hat in der Gestaltung, hat er auch die Produkte, die er hergestellt hat, in der Regel Molkereiprodukte in Berlin selber vertrieben. Darum hat der letzte deutsche Kaiser 1913 Otto von Wollanck noch geadelt.
Er selber ist 1929 bei einem Verkehrsunfall in Berlin mit seiner Gattin in zweiter Ehe ums Leben gekommen. Interessant ist; sein Kraftfahrer war nicht schuld. Mit dem juristischen Teil gab es 1929 noch fürchterliche Auseinandersetzungen; wer ist vor wem verstorben. Es ist dann nachgewiesen worden Otto nach seiner zweiten Frau, sodass die Tochter aus erster Ehe Erbin des Gutes wurde, eine Frau von Schulz. Sie hatten einen Herrn von Schulz geheiratet. Und jetzt wird der schlechte Ruf des Herrn von Schulz auf die Familie Wollanck übertragen.
Der Herr von Schulz war ein strammer Nationalsozialist und hat das Rittergut, das ohnehin nicht mehr gut dastand, in den Bankrott geführt. Otto von Wollanck hat meinem Großvater eine Schmiede zu einem symbolischen Wert verkauft, die dieser dann bis zu seinem Tode betrieben hat. Es ist ja schon herauszuhören, dass ich ein Verfechter der Patronatsloge unten bin. Aber ich verfechte die Loge. Herr Kalesse, der Stadtkonservator, hat gesagt: „ Reißen Sie das Ding ab.“ Da habe ich dann immer sagen müssen: „Befund ist Befund.“
Wir hatten vor den Ribbecks Patronatsherrschaften, und wir hatten nach den von Ribbecks Patronatsherrschaften. Alle hatten das Recht, hier ihre Spuren zu hinterlassen. Und das sind Spuren des Otto von Wollanck.
Er wurde 1913 noch geadelt unter dem letzten deutschen Kaiser, hat aber nicht mehr viel davon gehabt. Denn mit Ende des ersten Weltkrieges war es dann vorbei mit dem Adel, in der Vorrangstellung meine ich damit. Auch die Kirchenpatronatsherrschaften wurden damit aufgelöst.
Also Runterbringen der Loge. Warum wollen Menschen wie wir, erhöht sitzen? Das ist ja Hochmut. Und Hochmut kommt gleich vor dem Fall. Und unsere christliche Lehre setzt uns alle gleich vor Gott.
Das ist aber ein schönes Schlusswort! Vielen Dank für das ausführliche Gespräch, lieber Herr Radtke!
Frühzeit und slawische Besiedlung (ab ca. 1000 v. Chr.)
Die ältesten Spuren menschlicher Besiedlung in Groß Glienicke reichen bis in die Bronzezeit zurück. Archäologische Funde belegen, dass das Gebiet um den Groß Glienicker See bereits früh als Lebensraum diente. Ab dem 7. Jahrhundert n. Chr. ließen sich hier slawische Stämme nieder. Sie nutzten die wasserreiche Umgebung zur Fischerei, Jagd und Landwirtschaft. Der slawische Ortsname „Glienicke“ verweist auf lehmige, tonhaltige Böden, die für den Ackerbau fruchtbar waren.
Gründung der Kirche – ein Zeugnis mittelalterlicher Baukunst (1250–1271)
Mit der Grundsteinlegung 1250 beginnt ein zentrales Kapitel der Ortsgeschichte: der Bau der heutigen Feldsteinkirche, die das spirituelle und soziale Zentrum des mittelalterlichen Dorfes bildete. Die Kirche wurde im Auftrag des Benediktinerinnenklosters in Spandau errichtet, das im Hochmittelalter in Groß Glienicke Besitz hatte. Mönche des Klosters Lehnin unterstützten die Nonnen beim Bau, insbesondere durch das Sammeln und Heranschaffen der schweren Feldsteine, aus denen die Kirche besteht. 1271 wurde der Bau durch eine kirchliche Bauhütte vollendet – eine organisatorische Besonderheit der Zeit. In der Mark Brandenburg existierten damals nur wenige spezialisierte Bauhütten, die mit den extrem harten Natursteinen umgehen konnten. Die Bauhütte hinterließ in Groß Glienicke ihr „Logo“ – den typischen Schachbrettstein, der als dekoratives Bauelement bis heute in der Kirche zu sehen ist. Dieses Zeichen diente nicht nur der Wiedererkennung, sondern auch dem Stolz auf das handwerkliche Können – eine mittelalterliche Form von „Corporate Identity“.
Die Kirche von Groß Glienicke ist nicht nur ein mittelalterlicher Feldsteinbau mit langer Geschichte – sie birgt auch ein seltenes Bauzeichen, das durch eine bemerkenswerte Begebenheit wieder ans Licht kam. Die Entdeckung der Schachbrettsteine an ihrer Außenwand liest sich wie ein Krimi aus dem Denkmalpflege-Alltag.
Im Jahr 1982 sollte die Kirche – damals noch in der DDR – verputzt werden, da zahlreiche Schäden aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs sowie Witterungseinflüsse eine Instandsetzung nötig machten. Der Kirchenbetrieb lief weiter, aber die Reparaturen blieben notdürftig. Als nach der Wende die Restaurierung der Kirche professionell vorbereitet wurde, trat auch der Potsdamer Stadtkonservator Dr. Kalesse auf den Plan.
Gemeindemitglied Burkhardt Radtke erinnert sich:
„Wir waren gerade mit Herrn Kalesse vor der Kirche, als er sich plötzlich umdrehte und wie gebannt auf eine Stelle in der Wand starrte. 'Holen Sie sofort einen Maurer!' rief er. Dann: 'Picken Sie hier bitte ganz vorsichtig frei!' Und tatsächlich – nach wenigen Hammerschlägen kam das erste Muster eines Schachbrettsteins zum Vorschein. Wir waren völlig verdattert.“
Der Fund war eine kleine Sensation. Zwar ist die Kirche schon seit über 100 Jahren verputzt – aber niemand hatte vorher von einem Schachbrettstein gewusst oder ihn gesehen. Dr. Kalesse, ein Kenner märkischer Kirchenarchitektur, hatte die unscheinbaren Endpunkte von zwei bis drei Feldern erkannt. Die Muster glichen denen anderer Kirchen der Region – für ihn ein eindeutiger Hinweis auf die Handschrift einer mittelalterlichen Bauhütte.
„Es war, als ob sich die Vergangenheit plötzlich zeigte – mit nur wenigen Steinfeldern“, erzählt Radtke. „Es gibt viele Deutungen für diese Muster, sogar eine, in der Gott mit dem Teufel Schach spielt. Aber für mich ist es ganz klar: Das war das Zeichen der Bauhütte, ihr Logo – ihre 'corporate identity'. Sie wollten zeigen: Wir konnten das – zu Ehren Gottes.“
Die Schachbrettsteine sind mehr als nur Schmuck: Sie gelten als Erkennungszeichen bestimmter Bauhütten aus dem 13. und 14. Jahrhundert – eine Art mittelalterlicher Handwerkersignatur. In Brandenburg findet man sie vor allem in den Regionen Märkisch-Oderland, Oder-Spree, Uckermark und Elbe-Elster – aber sie sind selten, oft verborgen unter Putz oder verwittert.
Auch in Groß Glienicke sind mittlerweile drei dieser Steine bekannt, eingebettet in das Feldsteinmauerwerk. Sie lassen sich heute bei einem Rundgang um die Kirche entdecken – klein, aber bedeutend, und für viele Besucher ein „Aha-Moment“.
Ein oft zitierter Bibelvers bringt die tiefere Bedeutung auf den Punkt:
„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“ (Psalm 118,22).
Im christlichen Verständnis verweist dieser Vers auf Christus – und doch passt er auch zur Arbeit der mittelalterlichen Bauleute, die mit den härtesten Steinen der Mark ehrfurchtgebietende Gotteshäuser schufen. Die Schachbrettsteine sind ein stilles Zeugnis ihres Könnens – und ihrer Frömmigkeit.
Das mittelalterliche Dorfleben
Wie sah das Leben im Groß Glienicke des 13. Jahrhunderts aus? Das Dorf war als Sackgassendorf angelegt – mit einer zentralen Straße, die am Ufer des Groß Glienicker Sees endete. Die Bauern lebten in einfachen Fachwerkhäusern, betrieben Ackerbau, hielten Vieh und lebten in enger Beziehung zur Kirche. Der Groß Glienicker See war Lebensquelle: Trinkwasser und Fischfang. Der sonntägliche Kirchgang, das Läuten der Glocken, Feste im Kirchenjahr und der Rhythmus von Arbeit und Gebet prägten das Gemeinschaftsleben.
Urkundliche Ersterwähnung (1267)
Erstmals taucht der Name „Groß Glienicke“ in einer Urkunde von 1267 auf, in der Abgaben an das Spandauer Benediktinerinnenkloster dokumentiert werden. Diese Nennung bestätigt die kirchliche und wirtschaftliche Bedeutung des Ortes in der Mark Brandenburg.
Ein bedeutender Einschnitt in der Geschichte Groß Glienickes war der Bau der Dorfkirche im 14. Jahrhundert. In dieser Zeit war das Dorf im Besitz des Zisterzienserinnenklosters in Spandau, das hier landwirtschaftliche und seelsorgerische Interessen verfolgte.
Die Nonnen aus dem Spandauer Kloster veranlassten den Bau einer Kirche – einer schlichten Saalkirche aus Feldsteinen. Die Feldsteine dafür wurden teilweise von Mönchen des Klosters Lehnin gesammelt und beigetragen – was typisch für das weitverzweigte Netzwerk der Zisterzienser war: Männer- und Frauenklöster kooperierten bei Bauvorhaben, wirtschaftlicher Entwicklung und Verwaltung von Besitzungen. Die Kirche war zunächst einschiffig, ohne Turm, mit kleinen, rundbogigen Fenstern – typisch für den märkischen Kirchenbau des späten Mittelalters.
Diese Verbindung zweier Klöster (Spandau und Lehnin) unterstreicht auch die Bedeutung Groß Glienickes innerhalb der klösterlichen Landnutzung – als wirtschaftlicher Stützpunkt, geistliches Zentrum für die Dorfbewohner und Ausdruck der mittelalterlichen Christianisierung der Region.
Nach der Reformation 1539/40 in Brandenburg wurde das Spandauer Nonnenkloster säkularisiert. Die Besitzverhältnisse in Groß Glienicke änderten sich; das Dorf ging in weltliche Hände über. Ab dem 17. Jahrhundert entstand hier ein adliges Gut, das mehrfach den Besitzer wechselte. Groß Glienicke blieb ein kleines, landwirtschaftlich geprägtes Dorf. Der See, der Wald und die Felder bildeten die Lebensgrundlage. Dennoch war es durch seine Nähe zu Potsdam und Berlin nie ganz abgelegen.
Frühe Neuzeit – Adlige Gutsherrschaft durch die Familie von Ribbeck
Im 16. Jahrhundert ging das Dorf nach der Reformation in adligen Besitz über. Besonders hervorzuheben ist die Familie von Ribbeck, die sich in zwei Linien aufteilte: Die osthavelländische Linie besaß das Gut Groß Glienicke. Aus ihr stammen Hans Georg II. von Ribbeck und sein Sohn Hans Georg III. von Ribbeck, der Dechant am Domkapitel von Brandenburg war – eine einflussreiche Persönlichkeit mit kirchlicher und politischer Macht. Die bekanntere westhavelländische Linie stellt den legendären „Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“, verewigt durch Theodor Fontane.
Die Familie von Ribbeck in Groß Glienicke – Osthavelländische Linie
Groß Glienicke war über längere Zeit hinweg im Besitz der adligen Familie von Ribbeck, die sich in zwei Linien aufteilte: die westhavelländische Linie, mit dem bekanntesten Vertreter Hans Georg von Ribbeck, dem legendären "Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland", unsterblich gemacht durch Theodor Fontane in seiner Ballade von 1889; und die weniger bekannte, aber bedeutende osthavelländische Linie, zu der auch Groß Glienicke gehörte.
Aus dieser Linie stammten unter anderem Hans Georg II. von Ribbeck und sein Sohn Hans Georg III. von Ribbeck, die im 17. Jahrhundert lebten. Letzterer war eine besonders herausragende Persönlichkeit: Hans Georg III. von Ribbeck war Domdechant am Domkapitel zu Brandenburg an der Havel, also eine der höchsten geistlichen Würdenträger in der Mark Brandenburg. Als Dechant hatte er großen Einfluss sowohl in kirchlichen als auch in politischen Belangen. Zugleich war er als Adliger Besitzer des Gutes Groß Glienicke. Unter seiner Leitung wurde das Gut nicht nur verwaltet, sondern teilweise auch ausgebaut. Er repräsentiert damit die typische Verbindung von geistlicher Macht und landadliger Gutsherrschaft, wie sie in der frühen Neuzeit häufig vorkam.
Diese Ribbecks waren standesbewusst, gebildet und in kirchliche wie höfische Strukturen eingebunden – ein interessanter Kontrast zur später volkstümlichen Darstellung ihres westhavelländischen Vetters bei Fontane.
Mit der Industrialisierung und der Nähe zu Berlin entwickelte sich Groß Glienicke im 19. Jahrhundert zu einem beliebten Sommerfrische-Ort. Am See entstanden erste Villen und Sommerhäuser wohlhabender Städter.
Groß Glienicke wurde zunehmend für Sommerfrischler und Stadtbürger aus Berlin attraktiv. Um die Jahrhundertwende entstand eine Villenkolonie am See – zunächst in loser Bebauung. Das alte Gut wurde modernisiert und teilweise in ein Herrenhaus umgestaltet. Die Nähe zu Berlin (über die Chausseen oder später per Bahn) machte den Ort zu einem Rückzugsraum für wohlhabende Städter.
20. Jahrhundert – Teilung und politische Brüche
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlief die Grenze zwischen der sowjetischen Besatzungszone und dem britischen Sektor mitten durch Groß Glienicke – quer durch den See. Ab 1961 wurde die Berliner Mauer errichtet und teilte das Dorf bis 1989.
In der NS-Zeit war Groß Glienicke teils Wohnort für NSDAP-Mitglieder und Wehrmachtsangehörige. Auch hochrangige Persönlichkeiten siedelten sich hier an. Zugleich bleibt der Ort – abseits der großen Städte – ein Raum relativer Ruhe.
Nach 1945 – Teilung und Mauer:
Mit der Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Groß Glienicke ein geteiltes Dorf – die Grenze zwischen dem sowjetisch besetzten Brandenburg und dem britischen Sektor Berlins verlief mitten durch den Ort und quer über den Groß Glienicker See. Ab 1961 trennte die Berliner Mauer den brandenburgischen Teil (DDR) vom West-Berliner Teil – bis 1989. Die Trennung prägte das Alltagsleben nachhaltig.
Heute – Denkmalpflege und lebendige Erinnerung
Die mittelalterliche Kirche ist heute ein geschütztes Baudenkmal und aktiver Ort des Gemeindelebens. Führungen, Konzerte und Gottesdienste knüpfen an die lange Geschichte des Ortes an. Die Schachbrettsteine erinnern an die Baukunst vergangener Jahrhunderte – ein stilles Zeichen für Tradition, Identität und Handwerk.
Die Kirche in der Neuzeit und Erinnerungskultur
Die Dorfkirche Groß Glienicke überdauerte Jahrhunderte wechselnder Nutzung. Im Laufe der Zeit wurde sie mehrfach umgebaut, erhielt u. a. einen kleinen Turmaufsatz und später eine Orgel. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente sie auch als Ort der stillen Andacht während der Teilung, insbesondere für Menschen, die unter der Berliner Mauer litten.
Heute ist die Kirche ein geschütztes Denkmal und Ort der lebendigen Gemeindearbeit – auch in ökumenischem und kulturellem Rahmen. In Groß Glienicke gibt es heute zudem eine lebendige Bürgerinitiative zur Ortsgeschichte, sowie vielfältige Formen von Erinnerungskultur, die sowohl die DDR-Zeit als auch die adlige Vergangenheit und die kirchliche Prägung einbeziehen.
Von Luis Venus
Ja, die gab es unbewusster Weise. Das habe ich erst erkannt, als ich im Urlaub aus freien Stücken kleine Dinge geschnitzt habe mit meinem Taschenmesser, daran große Freude hatte und davon nicht lassen konnte.
Oh, so ein richtiges Lieblingsholz habe ich eigentlich nicht. Aber ich komme aus der Lausitz, wie du schon sagtest, bei Cottbus. Da gibt es den Spreewald. Der Spreewald hat ganz viele Erlen – und es gibt ja auch den Erlenkönig von Goethe geschrieben. Und da habe ich schon eine besondere Neigung zu. Die Bäume, die im Spreewald wachsen, sind ganz besondere Erlen, die in die ganze Welt exportiert werden.
Ich bin als Kind schon immer sehr gerne in Museen gegangen. Die Affinität zu Holz hatte ich schon beschrieben. Ich hatte auch in Kunsterziehung immer eine „1“, konnte sehr gut Bilder malen und so habe ich mich entschieden, diesen Beruf zu wählen. Ich habe mich immer beworben mit dem Satz: „ Da ich Kunst und Kultur sehr mag und mich dafür interessiere, habe ich diesen Beruf gewählt.
4. In Ihrer Spezialisierung Holzrestaurierung wird anhand von Quellenstudien den Anfängen der Holzrestaurierung im 18. Jahrhundert nachgegangen und eine besondere historische Fußbodentechnik aus dem Schloss Babelsberg in Potsdam vorgestellt. Auch für die Villa Henckel haben Sie furnierte Tafelparkette restauriert. Wie kam es von den Fußböden zu eigenständigen Objekten aus Holz? Und warum wollten Sie gerade diese Kirche restaurieren?
Im Studium habe ich mich auf Fußböden spezialisiert, weil es sehr wenige Fachleute gibt, die sich darauf spezialisiert und dazu auch publiziert haben. Das ist für mich ein weites Feld, diese Sachen zu recherchieren und zu erkunden. Bei den gefassten sakralen Objekten, da gibt es in Dresden aber auch in Hildesheim und anderen Städten Spezialisten, die sich darauf speziell ausgebildet haben. Ich habe in Potsdam studiert. Das ist dort nicht der Kernstudienbereich. Deshalb wollte ich da Konkurrenz zu anderen Hochschulen ausüben.
Diese Kirche war eine besondere Herausforderung, weil ich diese Objekte noch nicht restauriert hatte. Kerngebiet war bis dahin Möbel und Fußböden, aber auch Denkmalobjekt, wie Fenster und Türen. Über die Tür, das Seitenportal, sogenannte die Priesterpforte bin ich nach Groß Glienicke gekommen.
Zwischenfrage: Sie wollten also einfach mal etwas Neues probieren?
Na, ausprobieren nicht, aber es war eine Herausforderung, an ein so wertvolles Objekt mal herantreten zu dürfen. Ich habe das natürlich mit größter Vorsicht betrachtet und größten Respekt.
Als dann die Taufe untersucht worden ist, wir zusammen, Katrin Mikzas und ich den Zuschlag bekommen haben, konnten wir uns in dieses Gebiet immer mehr vertiefen. Im Grunde war die Tür auch ein gefasstes Objekt. So viel anders war die Herangehensweise dann auch nicht. Als man dann mit Experten gesprochen hat aus Dresden, haben wir schnell festgestellt, dass dort auch nur mit Wasser gekocht wird und wir dieser Sache gut gewachsen sind.
5. Herr Radtke sagte folgendes in seinem Interview:
„Als wir nach der Vereinigung Deutschlands überlegten: „Was nehmen wir als erstes in Angriff?“, entschieden wir uns, wir wenden uns als erstes der Taufe zu, weil diese sehr fragwürdig war in ihrer Stabilität. Dann kam der Restaurator, übrigens Janko Barthold, der heute noch unser Restaurator ist. Vom Förderverein wurde selbstverständlich ausgeschrieben. Es gab es mehrere Bewerbungen. Der jüngste Bewerber war Janko Barthold mit Kathrin Mikzas. Die beiden haben einen so sympathischen Eindruck hinterlassen und so klar gesagt, was sie machen wollen, dass wir uns dann für die beiden jungen Bewerber entschieden haben. Herr Barthold ist nicht nur heute noch dabei. Er ist auch sehr verdienstvoll in dieser Kirche.“
Was denken Sie, womit haben Sie ihn und den Förderverein damals überzeugt? Wann haben Sie mit dem Projekt „Kirche Groß Glienicke“ begonnen? Und warum ist Frau Mikzas nicht mehr dabei?
Begonnen haben wir 2008 mit der Restaurierung der Priesterpforte. So haben wir dann auch Herrn Radke und den Förderverein kennengelernt. Die Taufe war das zweite Objekt. Wir haben uns also mit der Tür bewiesen, wenn man so will. Der Funke ist übergesprungen. Bei der Taufe wurde letztendlich der günstigste Bewerber genommen. Ich denke, das war auch Wille der Kirche, dass wir weiter daran arbeiten können.
Frau Mikzas wurde schon zum Ende des Studiums eine schwere Krankheit diagnostiziert, die unheilbar ist. Schon damals war damit klar, dass sie ihren Beruf nicht bis zum Rentenalter ausüben kann. Zum Glück konnte sie mittels Umschulung und Härtefallregelung aufgefangen werden.
6. Zurück zum Beginn der Restaurierung der Taufe: Sie haben festgestellt, dass sich im Innern der Taufe eine Bleistifthandschrift befand. Ein Handwerker hat dort vermerkt, dass er 1639 die Taufe restauriert hat. Wenn er sie 1639 restauriert hat, war sie also schon vorhanden. 1639 dürfte das Taufbecken anlässlich der Taufe von Hans Georg III. geschaffen worden sein und dann wohl auch die Kanzel.
Wissen Sie noch, was Ihnen durch den Kopf ging, als Sie die Jahreszahl lasen?
Ja, da muss ich gleich mal korrigieren. Die Jahreszahl ist nicht richtig. Es stand 1681 in der Taufe, genau genommen der 17. April 1681, ausgebessert von Jacob Schultz von Boltenstein.[1]
So war der Schriftzug. Das war eine Riesenüberraschung für uns, weil wir gerade nach unseren Fassungsuntersuchungen so etwas Ähnliches vermutet hatten, dass sie ungefähr so alt ist. Herr Kalesse hat es sehr genau genommen mit dem Schriftzug. Zunächst dachten wir: „Vielleicht ist sie frühestens 1681 gebaut worden. Aber wir konnten feststellen, dass einige Dinge noch älter sind, z.B. unter dem Zopfgehänge. Wenn man die wegnimmt, so hat man dort noch einen Begleitstrich gefunden. Und wir haben noch ein Pfauenauge gefunden.
Das heißt, die ursprüngliche Fassung war noch älter als 1681. Denn Jacob Schultz von Boltenstein hatte ja geschrieben „ausgebessert“.
Die Zopfgehänge haben einen Duktus der der Decke gleicht. Wenn man schaut; dort ist das Stuckwerk mit den Blüten und den Fruchtgehängen. Auch die Akanthusranke sieht genauso aus wie an der Decke.
Daher konnten wir schlussfolgern; die Decke ist frühestens 1679 hereingekommen.
Wir haben Blattgold in der cuppa (dem Aufsatz) gefunden und gehen davon aus, dass er auch diese tolle Vergoldung dort aufgebracht hat. Man konnte feststellen, dass die Schnitzerei und die Vergoldung später aufgebracht wurden. Daher ist Herr Kalesse davon überzeugt, dass die Taufe von Hans Georg II Ribbeck in Auftrag gegeben worden ist zur Taufe seines Sohnes Hans Georg III Ribbeck.
7. Was haben Sie lieber restauriert, die Kanzel oder die Taufe?
Ein Lieblingsobjekt gibt es da nicht wirklich. Sehr anstrengend war die Taufe, weil wir damit den Grundstein der Gesamtfassung in der Kirche gelegt haben und wir uns festlegen mussten, wie die Innenraumgestaltung stattfindet. Und das ist natürlich schwer, auch gegenüber der Denkmalschutzbehörde zu argumentieren; warum denn jetzt eine andere Fassung in die gesamte Kirche eingebracht werden soll und vor allem wer finanziert denn das überhaupt?
Das war eine sehr spannende Zeit, in der man sehr viel Spannungen aushalten musste von allen Parteien, von der Kirchengemeinde, die für mich in der Priorität an erster Stelle steht, dann über die Denkmalschutzbehörden, bis hin zur Finanzierung. Wir hatten zwar einen relativ hohen Betrag zur Verfügung gehabt für eine kleine Taufe, wenn man davon ausgeht, dass wir nur reinigen, sichern und den Zustand erhalten. Aber für das, was wir dann getan haben, war das sehr wenig Geld. Schon allein die Untersuchungszeiten, die vielen Beratungen mit den Behörden, bis dann die Umsetzung konsequent durchgeführt werden konnte. Da war sehr viel Idealismus drin.
Restaurieren ist ja ein idealistischer Beruf. Da sind wir absolut aufgegangen und haben auch die nötige Energie getankt, um dann den gesamten Innenraum umsetzen zu können.
Mit der Kanzel war es so, dass wir unsere Thesen, die wir für die Taufe aufstellen konnten, für den gesamten Innenraum festlegen konnten. Alle Vermutungen, die wir angestellt hatten, wie der Innenraum einmal aussah, wurden bei der Kanzelrestaurierung bestätigt. Bei der Kanzel haben wir sogar noch zusätzliche Informationen erhalten können, Zum Beispiel Lichtbrechungen und Schattierungen konnten gefunden und befundet werden. Sie wurden dann konsequent wieder entsprechend dargestellt, wie es im Original war, auch wenn einige umgangssprachlich von Bonbon-Farben sprachen. Es wurde also von Fachleuten sehr kritisch betrachtet und in Frage gestellt. Aber wir hatten den Befund. Und Befund ist Befund!
Dann kann man sicher noch fragen: „Wollen wir den Befund in gealterter Form wieder darstellen oder so, dass es aussieht, wie neu gefasst?“
Wir – und das ist der eigentliche Meilenstein – haben uns entschieden, für die Fassung, dass es aussieht, wie neu gefasst. Das ist ein Stück weit Ehrlichkeit. Denn: Altern wird es von ganz allein.
Das ist dann auch für die Fachwelt interessant, wie denn überhaupt so ein Objekt aussieht, das tatsächlich so für Hans Georg III Ribbeck hergestellt worden ist. Denn diese Möglichkeit hat man in einem Museum gar nicht. Man kann immer nur vermuten. Man kann einen Teilbereich rekonstruieren. Man kann ein Objekt komplett neu bauen. Aber niemals am Original.
Hier hatten wir die Möglichkeit, das zu machen (Fassung überarbeitet, Aussehen wie neu) – und dafür bin ich sehr dankbar.
8. Etwa 1666 könnte das Epitaph für Hans Georg II., den Vater des Dechanten des Brandenburger Domkapitels, in die Kirche unterhalb der Kanzel eingebaut worden sein.
Welches Epitaph finden Sie eindrucksvoller? Und wie würden Sie in einfachen Worten meinen Mitschülern erklären, was ein Epitaph überhaupt ist?
Ein Epitaph ist eine Art Gedenktafel als Relief, also als ein Kunstwerk zu sehen, das entweder an einer Wand oder in eine Wand eigelassen worden ist. Es soll ähnlich, wie ein Gedenkstein zeigen, wer hier in der Kirche beigesetzt ist. Der Ursprung dieser Epitaphien war tatsächlich kirchlich. Wer überhaupt in der Kirche beigesetzt werden konnte war ursprünglich geistlich, also ein Pfarrer oder ein Bischoff etwa. Hier aber waren weltliche Menschen beigesetzt. Das ist auch etwas Besonderes. Sie hatten Rang und Namen und großen Einfluss auf ihre Umgebung. Deshalb hatten sie auch die Möglichkeit in der Kirche beigesetzt zu werden.
Das zweite Epitaph finde ich natürlich sehr eindrucksvoll. Ob Hans Georg III von Ribbeck wirklich so dargestellt werden wollte, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, dafür hat seine Frau gesorgt, die ihn wirklich sehr verehrt hat. Zumal das Epitaph aus dem Hochbarock stammt. Da wollte man auch durch die Kunst zeigen, wie einflussreich man war und wieviel Macht man eigentlich hatte.
Das Geld, das man so hatte im Adel wurde alles für die Kunst ausgegeben. Sicher hätte man es besser für ärmere Menschen ausgegeben, das Gesundheitswesen zum Beispiel. Aber für die Kultivierung ist es doch ein toller Schatz.
Man muss sich ja vorstellen, dass man hier mitten auf dem Land -Potsdam war noch klein, Berlin auch. Dorf an Dorf – so muss man sich die Struktur hier vorstellen. Da sind die Kunstwerke natürlich förderlich für den gesamten Kulturraum.
Aber von Ribbeck war kein wirklich reicher Mann. Er hatte den Gutspark und das Gutshaus, ein Fachwerkhaus, das heute nicht mehr steht, kein Schloss. Er war nicht wirklich sehr verwöhnt. Seine Frau Eva Maria von Lindau hat eine ordentliche Mitgift mitgebracht. Sie hat auch den ganzen Umbau, der die Prächtigkeit in die Kirche brachte, finanziert. Sie war eine gut betuchte Person, die auch Einfluss hatte. Man kann sich vorstellen, dass sie gar das Sagen hatte. Aber eine Frau, die regieren sollte, war zu dieser Zeit undenkbar. Männer waren die Regenten, ausgenommen England mit Elisabeth I Tudor.
Man kann sich daher gut vorstellen, dass Eva Maria von Lindau ihren Mann sehr beeinflusst hat.
9. Du stellst meine Füße auf weiten Raum, das heißt: Wer Religion lernen will, muss sie begehen. Gibt es in der Kirche interkulturelle Aspekte? Was ist überhaupt religiöses Lernen im Zusammenhang mit der Architektur unserer Kirche? Wie kann das gehen – evangelisch sein und zugleich interkulturell lehren? Zur Klärung dieser Frage lade ich ein zu einer Begehung unserer Kirche. Der Weg zu jeder Station soll ein kleiner Gedankengang sein, um eigene und anderen Füße auf weiten Raum zu stellen.
Sie sind diese Schritte alle gegangen und haben mit Ihrer Hände Arbeit dafür gesorgt, dass die sogenannten Prinzipalstücke alle in neuem Glanz erstrahlen.
Ich habe mich in diesem Jahr auch entschieden, am Konfirmandenunterricht teilzunehmen, obwohl ich noch nicht getauft bin.
Was hat Sie dazu bewogen, sich hier in unserer Kirche taufen zu lassen?
Oh, das ist ja eine sehr persönliche Frage. Aber ich möchte sie gern beantworten. Ich bin ja sehr weltlich erzogen und aufgewachsen, da ich in der DDR geboren wurde – wie du sagtest, in Cottbus. Mein Vater ist nicht getauft. Getauft ist meine Mutter. Aber sie ist nach der Wende noch offiziell aus der Kirche ausgetreten, weil sie eindeutig sagte, dass sie nicht gläubig ist.
Als ich fünf Jahre alt war, sind meine Eltern im Urlaub in der Tschechei mal auf einen Berg gelaufen. Es war ein Berg, der war nicht besonders hoch. Aber wir wollten ihn als Familie erklimmen. Es war natürlich mehr ein Spaziergang als es eine Wanderung war, denn mit fünf kann man noch keine Wanderungen machen. Oben waren Epitaphien bzw. Gedenksteine aufgestellt mit Jesusdarstellungen aus seinem Leben. Es war als eine Art Kreuzweg gestaltet. Und das hat mich als Kind total bewegt. Ich war da so geplättet, wie da auf einem ein Mensch ans Kreuz geschlagen wird mit Nägeln und Ketten. Unfassbar! Ich hatte dann tagelang Alpträume. Das hat mich wirklich den gesamten Urlaub dort bewegt. Meine Eltern wollten mir daraufhin erklären, wer oder was Gott ist; dass das eigentlich nur eine Erfindung wäre und dass es ihn nicht gäbe, aber ich konnte dieses Gefühl nie so richtig ablegen.
Der Erklärungsversuch meiner Eltern war für mich absolut sinnlos. „Warum macht man das dann?“ fragte ich mich. „Warum macht man solche Kunstwerke, wenn es das eigentlich nicht gibt?“ Lacht.
Noch zwei drei Jahre vor der Wende, sah es ja mit dem Kalten Krieg nicht so gut aus. Und da gab es Situationen, wo ich mir wirklich ganz dolle gewünscht habe, dass das alles hier mit Frieden endet. Ich hatte sehr viele Westbeziehungen, die ich einfach mal besuchen können wollte. Ich konnte nicht glauben, was uns in der Schule erklärt wurde; dass die Menschen im Westen böse seien. Dass das System dort ein „böses“ System und nur hier im Osten alles gut und eine heile Welt sei. Also man hat uns bewusst belogen. Ich habe das als schlimme Lüge empfunden.
Und als ich mir wünschte, dass all das besser würde, habe ich tatsächlich unbewusst die Hände gefaltet, ohne es zunächst zu bemerken. Und mir wurde klar, dass ich dies unbewusst insgeheim vor Gott gewünscht hatte.
Dann kam die Wende. Es lief alles über die Kirche. Mit der Kirche kam alles ins Rollen. Und es ist alles so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Immer, wenn irgendeine Fragestellung war in meinem Leben, habe ich mich an den Glauben geklammert; die Hände gefaltet und gedacht: „Wenn es dich gibt, dann mach‘ doch auch mal das und das. Oder sag mir, was ich machen soll!“ Und das hat immer funktioniert. Es war ganz eigenartig.
Selbst nach dem Studium oder dabei; ich wusste ja nie, wie geht es weiter. Das war eine brotlose Kunst. Ich hatte richtig Existenzängste. Als ich das alles einmal losgelassen habe und mich intensiv damit auseinandergesetzt, habe ich gedacht: „Jetzt kann mir nur noch Gott helfen.“
Auf einmal lief alles, wie an einer Schur gereiht mit meiner Selbstständigkeit. Als ich dann hier in Groß Glienicke angekommen war; und auch mit der Restaurierung der Taufe, dachte ich: „Ja, das macht Sinn. Dafür habe ich einmal studiert.“ Ich muss hier auch wirklich wissenschaftlich arbeiten und nicht nur mit den Händen und handwerkliche Tätigkeiten ausüben, Dienstleister sein. Es fing dann auch an, so richtig ideell zu werden.
Irgendwann stand ich da mit Blick auf den Altar und dachte: „ Wie viele Beweise brauchst du denn eigentlich noch?“ Ich war genau an der Stelle, an der wir heute das Interview führen und konnte nicht anders, als zu denken: „Ich denke immer nur über mich nach. Eigentlich ist es jetzt auch mal an der Zeit, offen zu bekennen, das ich an dich glaube.“
Wenn ich zum Altarbild schaue, zum „Ecce homo“, der zurückblickt und zu fragen scheint: „Was willst du eigentlich?“ Ich glaube, er ist extra so gemalt worden. Selbst in der größten Not, wenn man hier so sitzt, denkt man über sich nach, um zu dem Schluss zu kommen: „Eigentlich bist du gar nicht in Not. Eigentlich hast du gar keine wirklichen Probleme.“ Man muss auch immer mal loslassen. Und dann auf einmal kommen die Einfälle: „Machen wir die Fassung genauso, wie sie früher einmal war! Lass die Anderen reden. Und siehe da; man schafft es auch.“ Warum sollte man immer nur den Anderen gefallen wollen? Wenn so viele Leute einen beeinflussen wollen, dann kann man es niemandem recht tun. Dann muss man es so machen, wie man es selbst für richtig hält. Was soll ich sagen? Der liebe HERR ist eigentlich mein Chef.
10. Wichtig ist die Brille: hier eine Gleitsichtbrille – sie schaut einerseits mit weitem bauhistorischem Blick, andererseits fokussiert sie in der Nähe die typischen „Einrichtungsgegenstände“ einer Kirche, wie der Taufe, der Kanzel, des Altars oder der Orgel. Mit ihr sehen zu lernen, ist wichtig, da es in der Schule vielfältiger zugeht, als man vielleicht auf den ersten Blick denkt. Keine Begehung findet ohne Taschenlampe statt, um auch die verborgenen Seiten ausleuchten zu können und Spots auf religionskulturelle Darstellungen zu richten.
Die Klassische Moderne lässt sich grob auf die Jahre zwischen 1910 und 1960 datieren, in denen sich verschiedene Unterströmungen entwickelten, wie zum Beispiel: Expressionismus, Neue Sachlichkeit und Neues Bauen sowie Bauhaus. Die neue Sachlichkeit fand ihren Höhepunkt in den Jahren um 1930.
Die farbliche Restaurierung der Orgel finde ich daher besonders interessant. Sie hat die sogenannte Sandfort-Fassung von 1929/30, in der auch die Orgel eingebaut wurde. Haben Sie je davon gehört, dass ein Ausstattungsdetail in eine frühere Version überformt wird, also von Klassischer Moderne zu Barock?
1929 war das mit der Denkmalpflege fast so weit, wie es heute ist; da gab es unglaublich viele Diskussionen. Der erste Denkmalschützer – kann man sagen – war Karl-Friedrich Schinkel. Und von da an bis zum Dehio (Standartwerk der Denkmalpflege) gab es Strömungen, heftige Diskussionen, Symposien, bis eine einheitliche Linie gefahren werden konnte. Ich kann mir bis heute nicht erklären, wie diese graue Fassung in das Gebäude gekommen ist. Ich kann es mir nur damit erklären, dass es auch eine politische und gesellschaftliche Fragestellung nach dem Ersten Weltkrieg war, dass es so farblich gefasst worden ist. Es ist ja nicht nur in Groß Glienicke so passiert, sondern in unglaublich vielen Kirchen. Dies immer wieder mit dem gleichen Satz: „Wir haben die ursprüngliche Fassung wieder hergestellt.“, was de facto nicht stimmt.
Man hat es als Anlass genommen, als die Orgel hier eingebaut worden ist, die graue Fassung zu malen. Es gab noch die Fragestellung in der Restaurierung: „Was ist richtig? Was ist falsch?“
Der Kirchenmaler um 1930 hat diese graue Fassung als die richtige befürwortet. Eine richtige wissenschaftliche Herangehensweise kann ich nicht erkennen. Deshalb war es an der Zeit, gerade in dieser demokratischen Zeit, die Orgel in den angepassten Zustand im Übergang von der Spät-Renaissance in den Früh-Barock zu überführen, um die eigentliche Farbigkeit zeigen zu können.
Es ist natürlich schwierig – und das wussten wir ja schon seit der Restaurierung der Taufe – in Einklang zu bringen; wie geht man mit den Objekten um, die später als Renaissance in die Kirche kamen?
Die Orgelempore; die war einmal anders geformt. Auch das Gestühl kam später herein. Da haben wir nun wirklich keine Renaissance-Fassung. Wie geht man mit der Farbigkeit um?
Wir konnten feststellen, dass sich im 19. Jahrhundert die Denkmalpflege eher an dem Rückschritt orientiert und eine Fassung herein gebracht hat, klar erkennbar ist: Es ist eine andere Fassung, es ist ein anderes Objekt. Es ist eine andere Zeit. Aber sie passt noch.
Das, was Robert Sandfort[2] gemacht hat, war eine vollkommene Umgestaltung, sogar eine Umgestaltung des wertvollsten Prinzipalstückes – dem Altar.
Das habe ich ganz selten; dass die Altäre auch noch in der grauen Fassung überfasst sind.
Das haben sich sonst Kirchenmaler nicht getraut. Im 19. Jahrhundert wurde die Taufe überfasst und auch die Kanzel, nicht aber der Altar. Der blieb eigentlich immer unberührt.
Was 1929 genau die Menschen bewogen hat, diese graue Farbe reinzubringen, ist für mich noch immer ein Rätsel. Ich kann dazu keine passende Antwort finden.
Es gibt von Herrn Kalesse eine Antwort: Durch die Schande des verlorenen Ersten Weltkrieges wollte man Buße tun. Farbigkeit und prachtvolle Sachen waren verpönt. Man hat mit der grauen Fassung eine Art Beichte abgelegt.
Die Form der Orgel war eine Hommage an die Renaissance. Die Diskussion um die Farbfassung wurde heiß geführt. Aber der Weg zur farbfrohen Fassung stand damit offen.
Es ist interessant, dass wir mit dem ältesten Objekt angefangen haben die Renaissance-Fassung wieder einzubringen, sodass wir das jüngste Objekt dann umgestalten mussten, um es aneinander anzugleichen.
Wir haben die Orgel ja eine ganze Zeit in der Urfassung belassen. Aber es ging nicht. Es drückte. Dennoch habe ich es nicht großartig verändert. Oben am Gesims habe ich ein Blau und ein Ocker eingebracht. Das rot war vorhanden. Das Blau an den Schleierbrettern ist Sandfort. Das einzige, was ich noch gemacht habe, war die graue Rahmung beigefarben zu fassen. Alles andere ist original Sandfort geblieben. Zudem ist es so aufgebracht, dass man es jederzeit wieder entfernen könnte. Den Aspekt zu Sandfort habe ich bewahrt.
11. In der mittelalterlichen Kirche als Saalbau standen die Gläubigen ja in der Kirche. Können Sie das Gestühl unseres Innenraumes in etwa datieren? Und was denken Sie, wie die Kirche zuvor ausgesehen hat bezüglich der Bestuhlung?
Wir haben verschiedene Hölzer des Gestühls dendrochronologisch[3] untersuchen lassen. Das ist eine Methode, bei der die Jahrringe des Holzes gezählt werden. Wenn man die Waldkante hat, wie der Dendrochronologe sagt – gemeint ist der letzte Jahresring – dann kann man zurückzählen, wie alt der Baum ist und mit einem Raster aus der Datenbank abgleichen; also von wann bis wann war er auf der Erde, und wann war das Fälldatum. Das Fälldatum wird immer angegeben mit plus/ minus fünf Jahren. So kann man es ungefähr einschätzen.
Wir haben auch einen Schwellbalken von der Fachwerkwand dendrochronologisch untersuchen lassen. Dies ergab das Jahr 1679. Beim Gestühl war das älteste Holz aus dem Jahr 1748 und das jüngste Holz aus dem Jahr 1835/36.
Holz muss trocknen, gerade im Gestühl. Bauholz wird frisch eingebaut. Aber wenn man Möbel baut, dann möchte so ein Holz schon durchtrocknen. Trockenkammern, also, dass Holz technisch getrocknet wird, gab es nicht. Es gab nur die Freiluft- Holztrocknung.
Es gab noch eine weitere Holzimitationsmalerei aus dem Jahre um 1880.
Im 17. Jahrhundert gab es noch kein Gestühl. Es gab eine Chorschranke als klare Abgrenzung zum Altarraum.
12. Sie sind mit der Restaurierung der einzelnen Elemente in der Dorfkirche Groß Glienicke ja richtig verwachsen, haben ganz entscheidend zum heutigen Ausstehen der Innenausstattung beigetragen. Zum Abschluss unseres Gespräches würde mich noch interessieren, ob die Arbeit an der Dorfkirche für Ihre weiteren Projekte hilfreich bzw. wegweisend war und welche Projekte derzeit bei Ihnen aktuell sind.
Wegweisend ist das selbstverständlich. Bei den aktuellen Projekten beeinflusst mich das natürlich in den Argumentationen. Ich kann auch etwas vorzeigen: „ Schauen Sie sich das mal an. Wäre das eine Idee? Können Sie das mittragen?“, was ich zuvor hier nicht konnte. Aktuell bin ich in Uetz in der Dorfkirche. Da restauriere ich Außentüren und ein Relief von Albertus Alberti aus dem Jahre 1838.
Dann gibt es ein größeres Projekt in Brumby, in der Nähe von Bernburg. Das ist auch ein ganz tolles Objekt, eine Dorfkirche, auf einem Berg gelegen mit ähnlichen Ausstattungen wie hier, jedoch mit Gemäldedecke mit 92 Darstellungen. Es gibt Emporen, ebenfalls mit Gemälden. Der Altar dort ist noch etwa 20 Jahre älter als der Groß Glienicker und noch mehr in die Renaissance zu datieren. Er ist auch grau. Ich bin gerade dabei, dies zu untersuchen.
Dort sind ähnliche Schritte zu tun, wie wir sie hier gegangen sind.
In Zicksdorf bin ich als Subunternehmer mit der Restaurierung des Gestühls befasst.
In Sanssouci restauriere ich ein gefasstes, vergoldetes Möbel von Friedrich dem Großen aus seinem Arbeitszimmer. Das Möbel ist von Glume fast schon aus dem Übergang vom Rokoko zum Klassizismus. Hier gibt es keine Überfassungen. Es ist Original. Und so gilt es jede Patina, die daran ist zu bewahren.
Das ist im Museum. Das hat auch seine Berechtigung. Ich sage immer, Kirchen sind keine Museen. Damit stoße ich auf heftigen Wiederstand bei vielen Restauratoren. Wenn nichts angefasst werden kann, nicht verändert werden darf und alles bewahrt werden muss.
In Groß Glienicke bemerkt man, wie alles auf einmal umschwenkt; wie viele Leute schauen kommen. Was das restaurierte Gebäude auch nach außen für eine Ausstrahlung hat. Ich denke auch an die Wirkung; man geht aus einem Gottesdienst auch viel gestärkter raus als vorher.
Alle Ausstattungsgegenstände waren lange genug in voller Benutzung. Warum sollten sie keine weitere Nutzung aushalten?
Im Museum würde Kerzenlicht auch nicht gehen, der Ruß – Um Gottes Willen!
Wenn man mit den Ausstattungsgegenständen lebt, kommt die gepflegte Patina von ganz alleine. Sie bekommt mit der Zeit die altehrwürdige, standhafte Ausstrahlung. Eine gute Patina braucht ungefähr fünf Generationen. Es muss dann immer noch ästhetisch aussehen. Das ist die Kunst dabei!
Barthold, Janko
Artikel aus: Restaurator im Handwerk
ISSN: 1869-7119
(Deutschland):
Nr. 1, 2015
S.42-45, Abb.
[2] Robert Sandfort (geb. 5. Juli 1880 in Kettwig an der Ruhr; gest. 5. März 1945 in Essen) war ein deutscher Kirchenmaler. Nach einer Ausbildung als Maler studierte Sandfort an der Kunstgewerbeschule Düsseldorf. Nach dem Ende des Studiums 1901 absolvierte er als Einjährig-Freiwilliger seien Militärdienst. 1906 eröffnete er in Charlottenburg bei Berlin ein Atelier als Dekorationsmaler. Während des Ersten Weltkrieges diente er als Offizier und erhielt das Eiserne Kreuz Erster und Zweiter Klasse. Ende 1944 verlegte er seinen Wohnsitz nach Essen, wo er kurz vor Kriegsende bei einem Bombenangriff starb.
[3]Dendrochronologische Datierungen gehören mittlerweile zum Standard-Repertoire bei bauhistorischenUntersuchungen. Dies macht es erforderlich, Mindeststandards zu formulieren, deren Einhaltung die erreichte hohe Qualität sichern und weiterentwickeln kann. Quelle:
https://www.vdl-denkmalpflege.de/fileadmin/dateien/Arbeitsbl%C3%A4tter/Nr28.pdf
Von Luis Venus
Wir hatten hier in Groß Glienicke eine günstige Schulsituation. Es gab Lehrerinnen und Lehrer, zum Teil noch „altgediente“ (aus der Zeit des Nationalsozialismus), aber auch jüngere. Sie waren gut in der Lage uns – und vor allem den Flüchtlingskindern – etwas beizubringen. Denn es gab ein Gefälle zwischen Kindern, die aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern kamen. Da waren wir hier schulisch schon weiter entwickelt, und es musste ja zu einer Angleichung kommen. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an diese Gemeinschaft.
Und was mich auch immer wieder sehr berührt hat – und auch heute noch berührt: dass 1945, als dann einigermaßen Ruhe einkehrte, hat eine Gräfin von Pestalozza, die hier in Groß Glienicke wohnhaft war mit ihrem Mann (er war Lehrer und sie war ausgebildete Lehrerin) sofort begonnen hat– und sie war schon zu diesem Zeitpunkt eine alte Dame – unten in der alten Gutsschule (ein Raum im alten Gutskindergarten) Unterricht zu geben.
Sie hat umgehend begonnen, die Kinder schulisch zusammenzuziehen und uns dann einzuschulen und dort entsprechend zu unterrichten. Das war natürlich sehr schwierig, aber es war der Anfang der Unterrichtung hier nach dem Kriegsende.
Was auch wichtig war, vor allem für uns Kinder, dass die englische Besatzungsmacht, die für uns zeitweilig zuständig war, über den Flughafen Gatow uns mit Schulspeisung versorgt hat, sodass die Kinder mit Essen versorgt werden konnten. Wir mussten alle nur einen Löffel und ein Essgefäß mitbringen. Dann bekamen wir manchmal sehr merkwürdige Geschichten: Kekssuppe und andrer merkwürde Sachen, die wir hier gar nicht kannten.
Aber es war gewährleistet, dass die Kinder eine entsprechende Schulversorgung hatten.
Das wurde auch in der kommenden DDR-Zeit beibehalten, dass über eine Schulküche eine Versorgung immer gewährleistet war.
Insbesondere gilt mein Gedächtnis der Gräfin Pestalozza mit ihrem Mann (die hiesige Grundschule trägt ihren Namen, Anm. der Redaktion). Wir haben den Mann dummerweise immer veräppelt, weil er schon ein wenig schusselig war. Manchmal schaute Watte aus seinem Ohr. Manchmal hing das Taschentuch wieder aus der Hosentasche. Darüber haben wir uns köstlich amüsiert. Im Nachhinein ärgert mich das ein wenig. Aber er ist lange tot und hat es gut durchgestanden.
Die Gräfin war immer dunkel gekleidet. Und was wir Kinder nicht wussten – denn sie trug immer einen Turban – (meine Mutter hat mich dann einmal aufgeklärt): Die Gräfin hatte keine Haare. Da es zu der Zeit keine Perücken gab, hat sie immer einen Turban getragen, sodass wir gar nicht wussten, dass sie keine Haare hatte.
Wir hatten als Kinder immer großen Respekt vor der Dame. Ihren Mann haben wir veräppelt – aber die Gräfin nie. Wir haben die Dame wirklich sehr geachtet und verehrt.
Was ich auch noch gerne erinnere: Ende der 40er Jahre kam der Russisch-Unterricht als Pflichtunterricht. Wo sollten nun Russisch-Lehrer herkommen? Es gab gar keine Russisch-Lehrer in Deutschland, jedenfalls nicht für Dorfschulen. So wurde uns Grete Jonen, auch eine Flüchtlingsfrau, mit zwei Söhnen, zugewiesen. Sie konnte Russisch, weil sie aus einem russischstämmigen Gebiet war, also Deutsch-Russin. Sie konnte perfekt Deutsch und perfekt Russisch. Sie war eine sehr angenehme und sehr verständnisvolle Lehrerin, sodass wir auch Russisch lernten. Die erste, die sich zu uns auf die Schulbank gesetzt hatte, war die Gräfin Pestalozza, weil sie gesagt hat: ,,Ich kann ja die Kinder nicht unterrichten, und sie können keinen Respekt vor mir haben, wenn die etwas können, was ich nicht kann.“ Da hat sie bei uns im hohen Alter noch bei der Frau Jonen Russisch gelernt.[1]
Das rührt mich bis heute an und ziehe noch immer den Hut, wenn ich an die Gräfin denke.
Sie hat übrigens noch im hohen Alter, als sie aufhörte, Unterricht zu geben, in ihrer Wohnung (das Haus steht heute noch in der Sacrower Allee) unentgeltlichen Nachhilfe-Unterricht gegeben, weil wirklich viele Kinder hier noch waren, die ein großes Bildungsgefälle hatten. Und die mussten Nachhilfe-Unterricht erhalten. Die schönste Erinnerung, als wir noch das Grundstück am Wasser hatten, war, wie ich mit meinem Großvater schwimmen gelernt habe. Wir hatten ein Kanu, sind über den See gerudert.
Dann auch die Folgezeit: Wir bekamen 1947 hier in Groß Glienicke den ersten eigenständigen Pfarrer. Die Kirchengemeinde von Groß Glienicke war von 1333 bis 1947 Tochterkirche der Kirche zu (Berlin)-Kladow. Das heißt, der Pfarrer von Kladow hat die Gemeinden von Kladow, Gatow und Groß Glienicke betreuen müssen. Das war natürlich keine intensive Betreuung. Dann bekamen wir einen jungen Entsendungsdienst-Pfarrer Wilhelm Stintzing.
Der Mann hat hier gewirkt wie ein Heiliger. Er hat sich um alle Probleme, um alle Sorgen gekümmert. Er hat phantastisch auch in seinen Predigten zum Ausdruck bringen können, was er von den Menschen hier in der Gemeinde erwartet; dass Flüchtlinge und Altansässige sich miteinander befassen. Und Alteingesessene, insbesondere die Bauern, hat er von dieser Kanzel hier (wir führen das Interview in der Patronatskirche zu Groß Glienicke, Anm. der Redaktion) beschimpft, wenn sie einer Flüchtlingsfrau nicht die Milch für ihr Neugeborenes gegeben haben.
Auch das ist für mich eine tolle Erinnerung an den Pfarrer Stintzing. Diese Erinnerung habe ich in mir gehabt, bis zu seinem Tode. Er ist dann mit 100 Jahren verstorben. Er hat mit 97 Jahren hier noch seine letzte Predigt gehalten, war aber schon lange Potsdamer. Das ist auch eine ganz großartige Erinnerung, die man nicht vergisst.
[1] Anmerkung von Herrn Jurczok, Berlin Spandau:
Frau Jonen - ohne h - meine Tante war vor dem Krieg Kontoristin bei Siemens und hat nach dem Krieg wegen des Lehrermangels sich umschulen lassen zur Lehrerin für Russisch und Deutsch. Dies hat sie in Groß Glienicke bis zu ihrer Berentung 1973 unterrichtet. Grete Jonen war auch keine Deutsch-Russin sondern in Finkenkrug geboren und der Vater aus Köln und die Mutter aus Wien. Und Enkelabkömmlinge leben immer noch in Groß Glienicke.
Von Luis Venus
Das heute zur Stadt Potsdam eingemeindete Dorf Groß Glienicke hat eine komplizierte Geschichte, die bis heute vor allem seit seiner Gründung bis ins 15. Jahrhundert nicht erforscht ist. Eine Ortslage Klein Glienicke verschwand bis heute unentdeckt und ging in der heutigen Gemarkung Groß Glienicke auf. Was denken Sie, an welcher Stelle es diese Ortslage gegeben hat?
Ich habe eine alte Urkunde in einem Archiv in Zerbst gefunden, wo vermerkt ist, dass 1271 die Bauern von Groß Glienicke (das waren vielleicht fünf kleine Höfe) und Mönche vom Kloster Lehnin in Groß Glienicke die Feldsteine vom Acker gesammelt haben. Mit diesen Steinen, die sie gesammelt haben bei der Urbarmachung des Geländes, wurde sofort das Fundament der Kirche gesetzt. Eigentlich war hier das Kloster Spandau zuständig. Aber es war ein Nonnenkloster. Damals hat man auch schon Rücksicht darauf genommen, nun nicht die Nonnen zu zwingen, hier den Acker urbar zu machen. Wir müssen hier irre viele Feldsteine auf dem Acker gehabt haben.
Auch der Dorfgrundriss, ein nicht vollständig ausgebildetes Sackgassendorf, und die merkwürdige Position des Rittergutes weit außerhalb des eigentlichen Dorfes sind bis heute ungeklärte Phänomene des wenig bekannten Gründungszeitraumes um ca. 1250. Sie kennen noch das alte Gut. Können Sie mir noch etwas dazu erzählen? Da gab es doch eine Geschichte nach dem II. Weltkrieg, weshalb das Gut erst den Briten zugeschlagen wurde und später an die Russen ging. Warum?
Die Aussage Sackgassendorf ist nicht ganz richtig. Die Teilung ist ganz klar. Ausgangspunkt von Besiedlung in Groß Glienicke, überhaupt menschliche Besiedlung, fällt in die späte Bronzezeit. Von 1.700 bis 1.600 vor Christus waren die Menschen hier angesiedelt.
Wir haben Funde von Schachtungen sowohl hinter dem See, heute Kladow, als auch in der Nähe vom Karpfenteich. Der Karpfenteich war der Ausgangspunkt der Brandenburgischen Lehm- und Ziegel GmbH. Dort wurde Lehm- und tonhaltiger Boden für die Ziegelproduktion verwendet. Und dabei sind alte Fundstücke aus der späten Bronzezeit gefunden worden, die belegen, dass Groß Glienicke in der späten Bronzezeit besiedelt war. Es ist ja klar: Hier war Wasser. Hier war Wald, tiefer Wald. Man hatte Wasser. Man hatte Fische. Man hatte Wild, um hier zu siedeln. Und die ersten Besiedlungen waren am Nordufer des Groß Glienicker Sees. Aus dieser Erstbesiedlung entwickelte sich eine Slavensiedlung.
Ein Stamm der Slaven hat sich hier angesiedelt, der Westslaven. Aus dieser Besiedlung entwickelte sich das Rittergut. Das war das eine Zentrum.
Dann kam die vom Kurfürsten gewünschte Besiedlung auch durch deutsche Stämme. Es wurden deutsche und andere Siedler in dieses Gebiet gelockt, um dieses Gebiet zu erschließen. Sie haben sich mit den hier angesiedelten Urstämmen vereinigt und nicht bekriegt. So bekamen die neuen Siedler Hufen zugewiesen. Hufen ist eine Größeneinheit für eine Landfläche, die ein Mensch braucht, um einen Hof zu betreiben, damit hier endlich bäuerlicher Fortschritt eintritt. So haben die Bauern gesiedelt, wo die Dorfstraße endet, nämlich da, wo auch heute noch die Kirche steht. Hier endete das Bauerndorf Glienicke. Aber dies ist schon Groß Glienicke. Bei Gelegenheit zeige ich dir ein Bild, auf dem du siehst, dass die Kirche wirklich auf einem Hügel steht. Überall, wo in den Ortslagen Lehm gefunden wurde – Glien heißt Lehm – nannte sich der Ort Glien; Glienicke.
Dieses Groß Glienicke hatte ein kleines mickriges Rittergut, und war ein kleines mickriges Bauerndorf, links und rechts der Dorfstraße, die eben hier an der Kirche endete. Und dann gab es dieses Klein Glienicke von der Waldsiedlung etwas in die Feldlandschaft geschaut, kurz vor Seeburg. Das was die Lage Klein Glienicke, nur vier spärliche Höfe, die aber schon im Mittelalter wüst gefallen sind. Sie wurden aufgegeben. Die Flurstücke dieses Klein Glienicke sind dann der Flurlage Groß Glienicke zugeschlagen worden.
Es gab immer mal wieder bei Grabungen und Arbeiten dort auf diesen Wald- und Feldflächen Fundstücke, Baufundstücke. Da hat man behauptet; das sei der jüdische Friedhof in Glienicke gewesen. Aber wir hatten nie in Groß Glienicke eine jüdische Gemeinde, obwohl wir in den Jahren ab 1920 über 40 jüdische Bürger hatten. Die jüdischen Bürger, die hier ansässig waren, hatten hier ihre Wochenendgrundstücke und gehörten zu jüdischen Gemeinden in Berlin. Da es keine jüdische Gemeinde gab, gab es auch keinen Friedhof.
Die Besatzungsmächte Amerikaner, Franzosen, Engländer und Russen, haben alle darauf bestanden, dass sie im Bereich Berlin einen Flughafen bekamen. Das Problem war: So viele zivile Flughäfen gab es gar nicht. Der Tempelhofer Flughafen wurde von den Amerikanern genutzt. Die Franzosen bekamen Tegel, damals ein kleiner landwirtschaftlicher Flughafen. Nun mussten die Engländer ja auch noch einen Flughafen bekommen. Den Briten wurde dann der Flughafen Gatow, hier direkt hinter unserem See zugesprochen. Die Russen bekamen einen Militärflughafen in Staaken. Nun war die Besatzungszonenzuordnung so, dass Groß Glienicke eigentlich noch in die russische Besatzungszone insgesamt fallen würde. Die Briten jedoch wandten ein, so dicht an ihrem Flughafen keine Russen dulden zu wollen. So entschied man; wir teilen Groß Glienicke als Ort, damit der Abstand zum Flughafen bestehen bleibt. Und wir teilen Staaken. So wurde getauscht. Sicher wäre es besser gewesen, wenn wir dem britischen Sektor zugeordnet worden wären. Jedoch hat man das nicht berücksichtigt. So wurden Familien geteilt. Mein Großvater hatte die große Schmiede am Spandauer Tor. (damals dann Berlin West, Anm. der Verfasser) und wir wohnten am Potsdamer Tor.
Er war in der britischen Besatzungszone. Wir waren in der russischen Besatzungszone. Zu der Zeit durften wir noch hin und her. Es wurde erst kritisch in den Endvierzger- und Anfang der Fünfzigerjahre, als dann die Stacheldrahtzäune kamen – und wir nicht mehr rüber durften. Wir durften zunächst über den Grenzübergang Staaken an der B5 rüber wieder nach Westglienicke. Die Tatsache, dass die Besatzungsmächte Flughäfen brauchten, war Ausgangspunkt der Teilung von Groß Glienicke.
Einem Schachbrett in seiner Zeichnung und sogar Farbgebung ähnlich, unterscheidet sich dieser gänzlich in seiner Anmut von den anderen Feldsteinen, die die Außenmauern des himmlischen Gebäudes aus dem 13. Jahrhundert tragen. Wieso ist dieser Stein so besonders gestaltet und warum ist er an dieser doch sehr markanten Stelle zu finden?